Wir sind so dankbar für die schönen, spannenden und lehrreichen Begegnungen und Verkostungen, die wir mit Giorgio Grai erleben durften. Und auch für seine Wertschätzung unseren Weinen gegenüber, die uns auf unserem Weg motivierten und auch weiterhin anspornen.
Nachruf von Arnold Tribus in Tageszeitung vom 02./03. November 2019
In Memoriam Giorgio Grai 1930 - 2019
Eigentlich unerwartet hat Giorgio Grai seine Weinberge und Weinkeller verlassen, um in Zukunft in den Weingärten des Paradieses zu produzieren. Noch vor wenigen Tagen habe ich ihn im Hotel Cittá getroffen, wo er immer ein gern gesehener Gast von Hannelore und Francesco D'Onofrio war. Im Stadthotel traf man ihn, von Assistenten begleitet, die er in die önologischen Geheimnisse einweihte. Hier empfing er Freunde und Kunden, und ich war immer erstaunt über seinen Elan, seine Frische, seinen Aktivismus, seine Vitalität. Grai steckte voll im Leben, er arbeitete wie immer, erfand Weine, für große Namen, Gancia, und auch der berühmte Ferruccio Lamborghini gehörte zu seinen Kunden, und er produzierte auch eine eigene Linie, meisterhafte Weine.
Die Bozner kennen ihn, denn er war lange Jahre Wirt der Edi-Bar, damals noch eine recht vornehme Bar am Waltherplatz, wo sich ein recht buntes Publikum traf. Es war ein Ort des Genusses und der gepflegten Konversation. Man traf dort Piero Siena, den späteren Direktor des Museions, den Architekten Roland Veneri, den Ing. Levrini, der Straßen baute und Kunst sammelte, die schöne Pupi Morawetz. Es war ein angesehenes Bozner Lokal, geführt von einem ebenso angesehenen Wirt, der sich schon bald in ganz Italien, aber nicht nur - sein Ruhm reicht auch in das weinverwöhnte Frankreich -, als Önologe einen großen Namen gemacht hat. Auch die "New York Times" war auf diesen Charakter der internationalen Weinszene aufmerksam geworden, allenthalben lobte man seinen Sinn für Eleganz, die große Erfahrung des Feinschmeckers, denn sein Wissen und sein Feinsinn waren nicht auf den Wein beschränkt. Er wusste auch, was gut ist, wählte nur Erlesenes aus, den besten Käse, die beste Wurst, die besten Spaghetti, den besten Kaviar, alles was bei ihm aufgetischt wurde, musste von höchster Qualität sein.
Geboren wurde Giorgio Grai am 11. Juni 1930 im Hotel Roma in der Marconi-Straße in Bozen. Sein Vater hieß noch Krainz, er musste nach dem Krieg den Namen italianisieren, aus Krainz wurde Grai.
Er sah sich als Kind der alten Habsburger-Monarchie, sein Vater kam aus Triest, seine Mutter aus Rovereto. Er selbst definierte sich in seiner ihm eigenen Ironie als Bastard, denn eine Großmutter war Tschechin, die andere Ungarin, seine verstorbene Ehefrau war Bulgarin, sein Schwiegervater aus Transsilvanien.
Was Giorgio Grai aber weltweit berühmt werden ließ, ist seine Nase, ja die Nase, denn Grai zeichnete ein unglaubliches degustatives Können aus. Er galt in der Weinszene als der beste Weinverkoster. Als er von "Masters of Wine" zu einer Weinverkostung nach London geladen wurde, hat man ihm 14 Gläser Wein vorgestellt, die er erraten sollte. Er hat jeden Wein bestimmt, der in den 14 Gläsern war. Er roch, kostete und konnte dann nicht nur sagen, um welche Traube es sich handelte, sondern er bestimmte auch den Prozentanteil anderer Trauben, die die Komposition ausmachten. Freilich, was danach kam, das Urteil, war gefürchtet, denn da war er in seiner Ehrlichkeit und aufgrund seiner großen Erfahrung schonungslos.
Er ist nun von uns gegangen, der große Meister des Weins, Begründer der Weinkultur, Rallyefahrer, Gourmet, Gastronom, Hotelier, Weltenbürger, Lebenskünstler. Ein Einzelgänger, der der Weinmode der Angeber misstraute. Er war Bezugspunkt der nationalen und internationalen Önologie, Garantie für Qualität. Charmant, elegant, vielsprachig und eloquent. Ein großer Bozner. Requiescat in pace!
Arnold Tribus
Nachruf von Elmar Pichler Rolle in Dolomiten, 4. November 2019
Abschied von einem Grandseigneur
BOZEN. Heute wird Giorgio Grai zu Grabe getragen. Der Bozner mit dem herausragenden Stellenwert in der Welt der Winzer und Weinexperten ist am Mittwoch im Alter von 89 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben.
Sein absolut außergewöhnlicher Geruchs- und Geschmackssinn, vor allem aber sein phänomenales Gedächtnis haben ihn zu einer nahezu einzigartigen Erscheinung gemacht. Er brillierte, wo immer er auftrat, weltweit wohlgemerkt, und er vermochte selbst Experten zu verblüffen.
Das Licht der Welt hatte Grai am 11. Juni 1930 im Hotel "Roma" in der Marconi-Straße in Bozen erblickt. Früh stieg er in die Fußstapfen der Eltern und genoss in den damals besten und angesehensten Restaurants in Mailand und Paris eine erstklassige Ausbildung. Später führte er am Waltherplatz die legendäre "Edy Bar" mit der kultigen Einrichtung von Ettore Sottsass und angeschlossener Önothek.
Er war Berater der führenden Weinproduzenten Italiens und wegen seines beinharten Urteils gefürchtet. Grai, der auch im Automobilsport beachtliches Talent an den Tag legte und zahlreiche Rallyes bestritt, war elegant und höflich im Umgang, niemals aber war er zu Kompromissen bereit, wenn er gerufen wurde, über Weine zu urteilen.
Das brachte ihm öfter auch Probleme ein, was ihm aber scheinbar völlig egal war. Einem der angesehensten Winzer Italiens erteilte er in aller Öffentlichkeit den Ratschlag, er möge doch bitte seine Fässer besser ausspülen, also richtig reinigen. Die Versöhnung erfolgte erst Jahre später, wobei der Winzer eingestand, dass Grai mit seinem Urteil richtig lag.
Giorgio Grai selbst schuf auch große Weine, die allesamt eines gemein hatten: die außergewöhnliche Eleganz. Für seine Weißburgunder und Gewürztraminer bekam er viele und höchste Auszeichnungen: den Kalterer See kreierte er nach alter, heute vergessener Tradition.
Er sprach mehrere Sprachen fließend, vergnügte sich mit seinen Bozner Freunden vom Italienischen ins Deutsche und umgekehrt zu wechseln und bedauerte die allzu strikte Trennung der Sprachgruppen. Wenn er nicht gerade irgendwo unterwegs war, um Neues zu entdecken, was sein ständiger Antrieb war, war sein Bozner Stammsitz zuletzt das "Stadthotel" am Waltherplatz, wo die Familie D'Onofrio auch seine Weine kredenzt. Allesamt erstklassig. Jetzt bleibt der Stuhl im "Città" leer. Eine Legende ist nicht mehr. Ciao Giorgio.
Elmar Pichler Rolle